Luxemburg, den 20. Oktober 2023 – Am 5. Juli 2023 veröffentlichte die Europäische Kommission einen Plan zur Abschaffung der meisten Sicherheitsvorschriften für die Produktion und den Verkauf einer neuen Kategorie von gentechnisch veränderten Pflanzen, die mit Neuer Gentechnik (NGT) hergestellt wurden. Im Falle der Verabschiedung des Legislativvorschlags würden die Sicherheitsmaßnahmen sowie auch die Kennzeichnungsvorschriften, die auf unbewiesenen Behauptungen der Biotechnologieunternehmen beruhen, stark abgeschwächt oder ganz aufgehoben.
Genetisch veränderte Organismen (GVO), die mit diesen neuen Techniken hergestellt werden, unterliegen derzeit den bestehenden EU-Rechtsvorschriften, die Sicherheitsmaßnahmen wie die Bewertung der Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt, die Überwachung möglicher schädlicher Auswirkungen nach der Freisetzung in die Umwelt und die Nahrungskette sowie die Kennzeichnung (wenn genetisch veränderte Produkte direkt auf dem EU-Markt verkauft werden sollen) vorsehen.
Im Jahr 2018 entschied der Europäische Gerichtshof, dass Pflanzen, die durch gezielte Mutagenese (und damit eben auch die neue Gentechnik) gewonnen werden, als GVO zu betrachten sind und nicht von den Bestimmungen der GVO-Richtlinie der EU ausgenommen werden können. Das Gericht erklärte, dass die betreffenden Techniken und Methoden das genetische Material eines Organismus in einer Weise verändern, die in der Natur nicht vorkommt, und dass die damit verbundenen Risiken für die Umwelt und die menschliche Gesundheit nicht mit Sicherheit festgestellt werden können. Das EU-Recht verpflichtet zu Sicherheitsmaßnahmen wie Risikobewertung, Umweltüberwachung und -Beobachtung, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit. Der Kommissionsvorschlag erkennt zwar an, dass es sich bei der Neuen Gentechnik um GVO handelt (Artikel 3, Seite 27), argumentiert aber dennoch, dass sie von Sicherheitsmaßnahmen ausgenommen werden sollten.
Die UnterzeichnerInnen dieser Presseerklärung bekräftigen: “Die Menschen haben das Recht zu wissen, was sie essen und was in unsere Umwelt freigesetzt wird. Unabhängig davon, ob man gentechnisch veränderte Pflanzen für eine gute Idee hält, muss jeder neue, veränderte Organismus einer umfassenden Sicherheitsprüfung unterzogen werden, bevor er auf einem Feld und in weiterer Folge auch in der Nahrungskette landet. Dieser Vorschlag ist eindeutig das Ergebnis des Drucks multinationaler Konzerne, die sich unbedingt der Transparenz und der wissenschaftlichen Prüfung entziehen wollen und eine Reihe unbegründeter Behauptungen aufgestellt haben.” |
Der Vorschlag der Kommission würde zwei Kategorien von NGT-Pflanzen schaffen:
Kategorie 1 umfasst NGT, die nach Ansicht der Kommission – trotz ihrer genetischen Veränderung – konventionellen Pflanzen gleichwertig sind und vollständig dereguliert werden würden. Sie würden daher keiner Umweltverträglichkeitsprüfung, keiner Umweltüberwachung und -Beobachtung nach der Freisetzung, keiner Rückverfolgbarkeit und keiner Kennzeichnung mehr unterliegen (mit Ausnahme von Saatgut). Diese Behauptung der Gleichwertigkeit mit konventionellen Pflanzen haben zahlreiche Umweltwissenschaftler:innen inzwischen als “unwissenschaftlich” bewertet. Die Kommission will sich außerdem das Recht vorbehalten, die Kriterien der Kategorie 1 zu einem späteren Zeitpunkt durch sogenannte delegierte Rechtsakte zu ändern (Artikel 5, Seite 29), ein Verfahren, das den Einfluss der Regierungen und des Europäischen Parlaments maßgeblich beschränkt.
Kategorie 2 umfasst Pflanzen der NGT, die nicht unter die Kategorie 1 fallen würden, wobei die genauen Kriterien der Einordnung jedoch unklar sind. Für diese Kategorie würden die Sicherheitsmaßnahmen deutlich abgeschwächt und die Umweltüberwachung und – Beobachtung beispielsweise nicht mehr durchgängig vorgeschrieben. Eine Kennzeichnung wäre in dieser Kategorie jedoch erforderlich.
Die Hauptargumente der Kommission und der GVO-Hersteller zur Rechtfertigung der Deregulierung lauten, dass neue GVO den Landwirten helfen würden, die Auswirkungen des Klimawandels zu bewältigen und zu den Zielen des europäischen Green Deals beizutragen. Viele neue GVO befinden sich jedoch noch in der Entwicklung, so dass es zu früh ist, um zu wissen, ob sie ihre Versprechen einhalten werden. Die wenigen neuen GVO, die bereits außerhalb der Europäischen Union in Ländern mit schwächeren Sicherheitsanforderungen angebaut werden, haben bisher keine Nachhaltigkeitsvorteile gebracht. So konnte beispielsweise die Sojabohne Calyxt die versprochenen Erträge für die Landwirt:innen nicht erbringen und ist in Nordamerika deshalb auf dem Markt gescheitert. NGTs sind bisher auch nicht resistenter gegen Trockenheit, eine Eigenschaft, die vor allem im Zusammenhang mit dem Klimawandel immer wieder genannt wird.
GVO der ersten Generation haben bisher in Bezug auf die Nachhaltigkeit versagt. Herbizidtolerante GVO-Pflanzen sollten die Abhängigkeit von synthetischen Pestiziden verringern, haben aber stattdessen deren Einsatz erhöht. Mehrere unabhängige Studien weisen auf die Kontamination von Ökosystemen hin, in denen derzeit GVO angebaut werden. Bt-Toxine (die von gentechnisch veränderten, insektenresistenten Pflanzen wie dem MON810-Mais von Monsanto/Bayern abgesondert werden, der einzigen in der EU angebauten gentechnisch veränderten Pflanze) sind während der gesamten Vegetationsperiode und darüber hinaus vorhanden, auch in Süßwasserökosystemen, in denen Bt-Pflanzen angebaut werden. Wissenschaftler:innen haben bei 69 verschiedenen Insektenpopulationen, die nicht zu den Zielgruppen gehören, nachteilige Auswirkungen der Bt-Toxine festgestellt.
Der Legislativvorschlag der Kommission könnte weitreichende nachteilige Folgen haben. Diese sind im Folgenden zusammengefasst:
Mögliche Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit
Studien zeigen, dass NGTs unbeabsichtigte Mutationen im Genom verursachen. Diese unbeabsichtigten wie auch beabsichtigten Mutationen wären bei konventioneller Züchtung nicht möglich – auch wenn bei NGTs nicht zwangsläufig fremde DNA dauerhaft in das Genom der Pflanze eingebaut werden muss (anders als bei herkömmlichen GVOs). Beabsichtigte wie auch unbeabsichtigte Mutationen bergen laut dem Deutschen Bundesamt für Naturschutz Risiken.
Die von der Kommission vorgeschlagene Deregulierung würde Kulturpflanzen, aber auch Wildpflanzen und Bäume gleichermaßen betreffen. Viele dieser Pflanzen würden ohne Risikobewertung, Rückverfolgbarkeit oder Überwachung der Umweltauswirkungen freigesetzt werden. Es ist wahrscheinlich, dass die Freisetzung in großem Stil und über ein breites Spektrum an Arten, die sich einen Lebensraum teilen, erfolgen würde. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von Wechselwirkungen zwischen diesen Arten. Die Cocktail-Effekte dieser Wechselwirkungen sind unvorhersehbar. Die gesamte Umweltauswirkung könnte deutlich höher sein als die Auswirkungen einzelner neuer GMOs. NGT-Pflanzen könnten genetisches Material außerdem auch auf andere, ähnliche Pflanzen übertragen, was ebenso unvorhersehbare Auswirkungen auf die Nahrungskette und das gesamte Ökosystem haben könnte.
Wissenschaftler:innen warnen davor, dass dies die Anpassungsfähigkeit von Ökosystemen überfordern könnte, die durch Klimawandel, Umweltverschmutzung, Pestizide und viele andere Faktoren ohnehin bereits geschwächt sind. Da wir uns immer weiter über die planetarischen Grenzen hinausbewegen, haben Wissenschaftler:innen dazu aufgerufen, die Freisetzung von “Neuheiten”, zu denen auch “veränderte Lebensformen” gehören, zu reduzieren, um die bereits bestehenden, vom Menschen verursachten Belastungen nicht noch zu verschlimmern.
Eine Reihe von herbizidtoleranten, neuen GVO-Pflanzen ist in der Entwicklung. Die Erfahrungen mit herkömmlichen herbizidtoleranten GVO, die in der industriellen Landwirtschaft angebaut werden, haben gezeigt, dass der Einsatz von Herbiziden (die häufig von denselben Unternehmen hergestellt werden, die auch die GVO selbst entwickeln) insgesamt zunimmt, was zusätzliche negative Auswirkungen auf die Umwelt hat.
Die nachteiligen Auswirkungen von GVO beschränken sich nicht auf Herbizidresistenz oder Insektenresistenz. Die Forschung an dem mit genetisch veränderten Leindotter (Camelina, für Biokraftstoffe bestimmt) resultierte in einer Veränderung von Insekten, die sich von ihm ernähren. Derartige Studien werden von den EU-Regulierungsbehörden, die gentechnisch veränderte Organismen deregulieren wollen, abgetan. Für unabhängige Forschungsarbeiten zum besseren Verständnis der Auswirkungen und Risiken alter sowie neuer GVO für die Umwelt und die biologische Vielfalt gibt es kaum Mittel.
Neben (domestizierten und wilden) Pflanzen führen Biotech-Unternehmen Experimente mit NGTs durch, um Insekten, Wirbeltiere und Mikroorganismen mit neuen Eigenschaften zu schaffen. Diese fallen zwar nicht unter den Kommissionsvorschlag, aber es ist plausibel, dass der Vorschlag einen Präzedenzfall für eine weitere Deregulierung schaffen könnte.
Folgen für Landwirt:innen
Die Koexistenz neuer GVO mit konventionellem oder biologischem Landbau wäre schwierig, wenn nicht gar unmöglich: Auszugehen ist von einer Freisetzung im Großen Stil – und dass die meisten neuen GVO unter dem Radar angebaut würden, wenn sie als gleichwertig mit konventionellen Kulturen eingestuft werden. Dies würde das Überleben des biologischen und des konventionellen Sektors ohne GVO bedrohen, die die Last der Kontamination ihrer Felder zu tragen hätten.
Der Kommissionsvorschlag könnte es ermöglichen, dass in der EU angebautes Saatgut von einer Handvoll multinationaler Saatgutunternehmen patentiert wird. Nach den bisherigen Erfahrungen mit industriellen Anbaumethoden und GVO würde die Patentierung von Saatgut voraussichtlich auch die Vielfalt der den Landwirten zur Verfügung stehenden Pflanzenarten verringern. Wenn nur einige wenige multinationale Unternehmen die Kontrolle über das Saatgut (das praktisch die Grundlage unserer Nahrungskette ist) erhalten, würde dies nicht nur die Innovation ersticken, sondern unser Lebensmittelsystem würde wahrscheinlich auch in dem derzeitigen Modell der intensiven industriellen Landwirtschaft mit seiner starken Abhängigkeit von Chemikalien und fossilen Brennstoffen verbleiben, was zu weiteren negativen Auswirkungen für die Umwelt führen würde.
Folgen für Konsument:innen
Viele neue GVO-Produkte oder -Zutaten würden nicht gekennzeichnet, sodass Verbraucher:innen ihrer Informations- und Entscheidungsfreiheit beraubt werden würden.
Eine Umfrage aus dem Jahr 2021 sowie eine Petition aus dem Jahr 2023 zeigen, dass Konsument:innen eine klare Kennzeichnung und Regulierung von GVO und NGT fordern. Die Besorgnis der Menschen über GVO ist nicht auf die EU beschränkt: Nahezu die Hälfte der US-Konsument:innen vermeidet den Kauf von GVO-Lebensmitteln.
Kennzeichnungen für neue GVO der Kategorie 2 könnten den Verbraucher:innen in der EU irreführende Informationen liefern, die auf bislang unbewiesenen Nachhaltigkeitsaussagen beruhen, was einen Verstoß gegen die “Green Claims”-Richtlinie zur Bekämpfung von Greenwashing darstellen könnte. Da die Risikobewertung für neue GVO der Kategorie 2 verwässert wurde, könnten negative Auswirkungen auf die Umwelt unbemerkt bleiben.
Folgen für den Einzelhandel
Da Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung für viele neue GVO-Produkte im Kommissionsvorschlag nicht mehr vorgeschrieben sind, wäre es für den Einzelhandel schwierig, die Gentechnikfreiheit in den Produkten zu garantieren – vor allem in biologischen und konventionellen gentechnikfreien Produkten. Es besteht die Gefahr, dass sie das Vertrauen der Konsument:innen verlieren. Diese sozusagen “versteckten” GVO würden jedenfalls auch für Bio-Supermärkte ein ernstes Problem darstellen.
Folgen für einzelne EU-Länder und -Regionen
Derzeit haben sich 18 Länder und Regionen der EU dafür entschieden, Lebensmittel gentechnikfrei zu produzieren und diese in ihrem Gebiet nicht anzubauen. Der Vorschlag der Kommission nimmt den Regierungen das Recht darauf, ihre Landwirtschaft und Umwelt vor den möglichen Auswirkungen neuer GVO zu schützen.
Die unterzeichnenden Organisationen:
Greenpeace Luxembourg, natur&ëmwelt, CELL, Lëtzebuerger Landesverband fir Beienzuucht, astm, Mouvement écologique, SEED, Bauerenallianz, Vereenegung fir Biolandwirtschaft Lëtzebuerg, Lëtzebuerger Landjugend-Jongbaueren