Luxemburg, 26. September 2023 – In diesen Tagen wird der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Deregulierung neuer gentechnischer Methoden diskutiert [1]. Konkret würde eine Deregulierung bedeuten, dass es keine Risikobewertung für neue GVO (sog. NGT, Neue Genomische Techniken) mehr gibt, keine effektive Entfernung von in die Umwelt freigesetzten Pflanzen, keine Kennzeichnung von Lebensmitteln und Saatgut, das mit diesen neuen Methoden gewonnen wurde, und vor allem keinen Schutz für die biologische und gentechnikfreie Produktion. Das Vorsorgeprinzip und die Wahlfreiheit würden nicht mehr gelten. Greenpeace, Bauerenallianz, Lëtzebuerger Landjugend-Jongbaueren und Vereenegung fir Biolandwirtschaft Lëtzebuerg fordern Landwirtschaftsminister Claude Haagen auf, sich klar gegen den Vorschlag der EU-Kommission auszusprechen und auch andere EU-Mitgliedstaaten davon zu überzeugen, dass der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der bäuerlichen Landwirtschaft weiterhin oberste Priorität einer gemeinsamen europäischen Politik haben muss.

Die Europäische Kommission will die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch manipulierte Pflanzen und Produkte von der Züchtung bis zum Endprodukt abschaffen und damit die biologische und gentechnikfreie Landwirtschaft gefährden.  

Die Gentechnik widerspricht den Grundprinzipien der biologischen Landwirtschaft“, sagt Dani Noesen, Direktorin der Vereenegung fir Biolandwirtschaft Lëtzebuerg. “Aber weil die Kommission die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch manipulierte Pflanzen und Produkte von der Züchtung bis zum Endprodukt abschaffen will, bürdet sie die Kosten für den Nachweis, dass ihre Produkte gentechnikfrei sind, vollständig der ökologischen Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie auf. Da die Verantwortung auf die Mitgliedstaaten verlagert wird, wird es praktisch nicht mehr möglich sein, den Anbau von GVO innerhalb eines bestimmten Gebiets zu verhindern. Ohne die Kennzeichnungspflicht wird es praktisch unmöglich sein, ihre Abwesenheit in ökologischen Produkten nachzuweisen. Dies ist ein großes Nein für die ökologische Landwirtschaft“.

Auch Marco Koeune, Präsident der Bauerenallianz, sieht die Wahlfreiheit der Bauernschaft zusehends eingeschränkt: “Die Saatgut- und Pestizidkonzerne haben bereits eine dominante Stellung gegenüber uns Bauern und Bäuerinnen. Die Patentrechte auf Saatgut machen diese wirtschaftliche und betriebliche Abhängigkeit noch größer. Die Saatgutproduktion, ihre freie Verfügbarkeit und ihre Vielfalt müssen bewahrt und weiterentwickelt werden. Wir lehnen den aktuellen Vorschlag der Europäischen Kommission ab und fordern substanzielle Verbesserungen“.

Die neuen Techniken der Gentechnik sind ein komplexes Thema, mit dem sich die Landwirtschaft kritisch auseinandersetzen muss. “Sie bieten Chancen, aber auch hohe Risiken“, erklärt Sara Thill, weshalb die Lëtzebuerger Landjugend-Jongbaueren den Vorschlag der Kommission ablehnen. “Es geht hier nicht darum, NGT-Pflanzen zu verbieten, aber wir fordern klare rechtliche Verfahren für ihre Zulassung und Kennzeichnung, denn nur so kann die Wahlfreiheit für jede und jeden gewährleistet werden. Neben wissenschaftlichen Fakten sind auch soziale und ethische Bedenken ein integraler Bestandteil einer solchen Diskussion. Die bestehenden GVO-freien Labels haben ihre Berechtigung. Als Produzentinnen und Produzenten sehen wir die Gefahr einer zunehmenden Abhängigkeit von den großen Pflanzenschutzkonzernen, die ihre Marktposition bereits durch angemeldete Patentrechte stärken wollen“.

Benny Haerlin, Zukunftsstiftung Landwirtschaft (Berlin), sagte: “Die vorgeschlagene Deregulierung würde 30 Jahre präventive GVO-Gesetzgebung in der EU begraben und einen Frontalangriff auf die ökologische und gentechnikfreie Landwirtschaft darstellen. Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch Landwirtinnen und Landwirte hätten faktisch keine Wahl mehr, da es nicht mehr möglich wäre, freigesetzte GVO zu entfernen. Innerhalb kürzester Zeit würde der Saatgutmarkt von den Patentanwälten der großen Chemie- und Genkonzerne kontrolliert werden“.

Wir brauchen einen grundlegenden Wandel in unserer Landwirtschaft, den wir nicht den Agrochemiekonzernen überlassen dürfen“, sagt Raymond Aendekerk, Direktor von Greenpeace. “Es wäre fahrlässig und wahrscheinlich eine echte tödliche Gefahr, den agrarökologischen Wandel zu verschlafen. Unsere Regierung muss auf der europäischen Bühne eine Vorreiterrolle spielen und sich in einer Allianz mit anderen Mitgliedstaaten dafür einsetzen, dass unsere Landwirtschaft gentechnikfrei wird“.

Greenpeace hat eine Online-Petition gestartet und ruft die Regierung dazu auf, die Wahlfreiheit zu respektieren: https://act.gp/CPLux-OGM2023


Notizen:
[1] Der Gesetzentwurf enthält Bestimmungen über die Anwendung neuer gentechnischer Verfahren wie CRISPR-Cas. Diese Techniken ermöglichen tiefe Eingriffe in das Genom von Lebewesen, insbesondere weil sie mehrfach und gleichzeitig auf viele verschiedene Gene angewendet werden können. Der Vorschlag sieht eine Verordnung vor, d.h. einen Rechtsakt, den alle EU-Länder in vollem Umfang umsetzen müssen. Die derzeitige Rechtsgrundlage für die Gesetzgebung zu gentechnisch veränderten Organismen (GVO) ist die Richtlinie 2001/18/EG (“Freisetzungsrichtlinie”), die die EU-Mitgliedstaaten in nationales Recht umsetzen mussten.  Das Europäische Parlament und der Rat der Regierungen aller EU-Mitgliedstaaten können Änderungsvorschläge zu dem heute von der Kommission vorgelegten Entwurf (in der EU-Terminologie “Gesetzesvorschlag” genannt) machen und gemeinsam mit der Kommission in Dreiecksverhandlungen (“Trilog”) einen endgültigen Gesetzesentwurf entwickeln, der schließlich vom Europäischen Parlament angenommen oder abgelehnt wird.