Kiew, Ukraine, 20. Juli 2022 – Gemeinsam mit internationalen Expert:innen hat Greenpeace Deutschland in verlassenen russischen Militärstandorten, Strahlungswerte gemessen, die mindestens dreimal so hoch sind wie die Schätzungen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO). Noch im April 2022 stellte die IAEO zwar erhöhte Strahlungswerte fest, stufte diese jedoch als ungefährlich für die Umwelt oder die öffentliche Sicherheit ein. Greenpeace ist besorgt über die Beeinträchtigung der IAEO in Ihrer Rolle in Bezug auf die nukleare Sicherheit in der Ukraine durch ihre Verbindungen zu Russlands staatlicher Atombehörde ROSATOM, nicht zuletzt auch auf Grund des derzeitigen stellvertretenden IAEO-Direktors Mikhail Chudakov, einem langjährigen ROSATOM-Beamten. 

Das Forschungsprojekt wurde mit Genehmigung der ukrainischen Regierung und in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler:innen der State Agency of Ukraine on the Exclusion Zone Management (SAUEZM) innerhalb einer 30km langen hochgradig kontaminierten Sperrzone durchgeführt. Greenpeace veröffentlichte die Ergebnisse seiner Untersuchung auf einer Pressekonferenz in Kiew, an der auch Jewhen Kramarenko, Leiter der SAUEZM, sein Stellvertreter Maksym Schewtschuk sowie Serhiy Kireev, Generaldirektor des staatlichen Fachunternehmens “EcoCenter” in Tschernobyl, teilnahmen. [1]

In Zusammenarbeit mit ukrainischen Wissenschaftler:innen dokumentierte Greenpeace außerdem die Beschädigung wichtiger Labors, Datenbanken und Strahlungsüberwachungssystemen. Zu diesen einzigartigen Einrichtungen, die mit Hilfe internationaler Wissenschaftler:innen entwickelt wurden, gehörten auch Geräte zur Untersuchung der Auswirkungen von Strahlung auf die Gesundheit und die Umwelt. 

Es ist von essentieller Bedeutung für unsere Erde die komplexen Auswirkungen der Strahlung in Tschernobyl zu verstehen, was bedeutet, wir sind auf Forschungen und die Zusammenarbeit mit internationalen Wissenschaftlern angewiesen. All das wird durch den Krieg in der Ukraine gefährdet“, sagte Shaun Burnie, leitender Atomexperte bei Greenpeace Deutschland. “Wissenschaftler:innen und Mitarbeiter:innen, die wichtige Strahlenschutzmaßnahmen durchführen, werden nun von einer unbekannten Anzahl russischer Landminen und Sprengstoffen gefährdet. Dies ist eine weitere schreckliche Hinterlassenschaft des illegalen russischen Krieges und ein Verbrechen gegen die Umwelt und die gesamte Wissenschaft. Die IAEO scheint nicht bereit zu sein, das Ausmaß der Strahlengefahr in Tschernobyl und die Auswirkungen der russischen Besetzung zu erklären.

Entscheidend für die Untersuchung von Greenpeace war ein von der britischen Firma McKenzie Intelligence Services (MIS) in Auftrag gegebener Satellitenanalysebericht, der die Standorte der russischen Militäroperationen im Februar und März 2022 zeigte. [2]

In einem russischen Lager bei Stantzaya Yanov wurden Werte von 0,18 µSv/h (microSievert pro Stunde) bis hin zu 2,5µSv/h in 10 cm Höhe gemessen. Der höchste Wert ist somit mehr als dreimal so hoch wie der von der IAEO geschätzte. Bei weiteren Proben, die in einem mobilen Labor vor Ort gemessen wurden, zeigte sich ein deutlicher Kontrast in den Cs-137-Konzentrationen, die von 45000 Bq/kg bis unter 500 Bq/kg reichten. Durch die Störung der Erdschichten, ausgelöst von der russischen Armee, kann sowohl gering kontaminierter Boden aus tieferen Schichten als auch höher kontaminierter Boden aus anderen Schichten an die Oberfläche gelangen. Dies kann zu einer stärkeren Ausbreitung von Radionukliden in die Umwelt führen.
In den verlassenen russischen Gräben wurden Gammastrahlungswerte gemessen, die als schwach radioaktiver Abfall einzustufen sind. Es ist eindeutig, dass das russische Militär in einer hochradioaktiven Umgebung operierte, jedoch vermag die IAEO nicht dies mitzuteilen. Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass die Strahlungswerte in der ukrainischen Sperrzone keineswegs normal sind, auch wenn die Atomenergiebehörde uns das glauben machen will“, sagte Jan Vande Putte, leitender Strahlungsexperte bei Greenpeace Belgien.


[1] Pressekonferenz des Generaldirektors – Rückkehr aus der Ukraine, 28. April 2022, https://iaea.wistia.com/medias/987voq9yoq

[2] Tschernobyl-Bericht, McKenzie Intelligence Services (MIS), im Auftrag von Greenpeace Deutschland, https://act.gp/3nPxKRS