Greenpeace zieht Bilanz

Zwei Jahre nach Ankündigung deckt ein neuer Greenpeace-Report auf, wie wenig von den einstigen Klimaschutzambitionen der Europäischen Zentralbank übrig geblieben ist.

Bei der Dekarbonisierung des Finanzsystems in Europa spielt die Europäische Zentralbank mit ihrer enormen Bilanz in Höhe von 7.200 Milliarden Euro eine Schlüsselrolle – ihre geldpolitischen Entscheidungen haben Signalwirkung über den Euroraum hinaus. Umso erfreulicher kam Juli 2021 die Ankündigung einer ambitionierten Klimastrategie, der genau  ein Jahr später konkrete Beschlüsse folgten: Künftig wolle man bei der EZB sogenannte Klimakriterien anwenden, um die Gewichtung von Unternehmen, die die Pariser Klimaziele untergraben, in den EZB-Portfolien zu reduzieren. Ein Novum in der Geschichte der europäischen Notenbanken, um deren Rolle und Verantwortung bei der Klimakrise zuvor eine heftige Debatte entbrannt war, auch in den eigenen Reihen. 

Greenpeace hat den Prozess der strategischen Neuausrichtung der Europäischen Zentralbank von Anfang an kritisch begleitet – mit Studien, Analysen und spektakulären Protestaktionen für eine grüne Geldpolitik. Zwei Jahre nach Verkündung der Klimastrategie ist es Zeit für eine Bestandsaufnahme: Was ist aus den ambitionierten Ankündigungen der EZB geworden? Dafür hat Greenpeace gemeinsam mit Autor:innen der SOAS University of London, University of Greenwich und der University of the West of England eine neue Studie veröffentlicht. 

Als Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet 

Das Fazit der Studie ist unerfreulich: Die klimagerechte Transformation der Europäischen Zentralbank scheint auf Eis gelegt. 

  • Bereits methodisch zeigt die Vorgehensweise der EZB zur Implementierung von Klimakriterien große Schwächen, zum Beispiel bei der Berechnung des Klima-Scores, den die EZB zur Bewertung von Unternehmen verwendet. So finden weder die Klimaschädlichkeit der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens (etwa eines Kohlebergbauunternehmens) noch zukünftige Expansionspläne Berücksichtigung. 
  • Bereits im Dezember 2022 kündigte die EZB an, ihre Pläne zur Verschärfung der Risikoaufschläge (Haircuts) für ihr Rahmenwerk für Kreditsicherheiten(Collateral Framework) aufzugeben. 
  • Seit Juli 2023 kommen in ihrem Portfolio für Unternehmensanleihen (CSPP) entgegen der beschlossenen Klimastrategie der EZB keinerlei Klimakritierien mehr zur Anwendung: Statt die klimaschädlichen Anleihen aktiv umzuschichten, lässt die EZB ihre Bestände nun über viele Jahre passiv auslaufen. 

Weitere Ergebnisse der Studie sind in der deutschen Zusammenfassung nachzulesen – oder direkt im englischen Originalreport: Broken Promises: The ECB’s Widening Paris Gap.

Ein Lösungsvorschlag vor dem Hintergrund der Inflation 

In Zeiten von hoher Inflation, eskalierender Klimakrise und wachsender sozialer Ungerechtigkeit ist es unklug, eine Krise gegen die andere auszuspielen. Nichts anderes hat die EZB jedoch faktisch getan – unter Eindruck der hohen Inflation verliert sie wie zuvor bewusst die europäischen Bemühungen zur Bekämpfung der Erderhitzung aus den Augen. So wird sich nichts ändern: Mit der aktuellen Vorgehensweise werden noch in 15 Jahren klimaschädliche Anleihen fossiler Öl-Multis massiv im EZB-Portfolio übergewichtet sein, während klimafreundliche Geschäftsmodelle leer ausgehen. Die Studien-Autor:innen schlagen daher eine “Green Unwinding”-Strategie (grüne Abwicklung) vor, um das Portfolio der EZB unter Berücksichtigung der hohen Inflation deutlich schneller zu dekarbonisieren. Dies könnte die EZB erreichen, indem sie ihre Klima-Ratings für Unternehmen schärft und aktiv besonders klimaschädliche Anleihen verkauft. Dadurch könnte die EZB ihren Kampf gegen die Inflation verstärken und gleichzeitig die Klimaziele der EU unterstützen.

Greenpeace fordert

Ausgehend von der inakzeptablen Stagnation der Klimaschutzbemühungen der EZB stellt Greenpeace folgende Forderungen:

  1. Die Klimabewertung von Unternehmen (Climate Scoring) durch die EZB muss verfeinert und die identifizierten Defizite müssen schnellstmöglich behoben werden. 
  2. Die EZB muss ihr CSPP-Portfolio aktiv zugunsten von Anleihen klimafreundlicher Unternehmen umschichten („Active Green Tilting“). 
  3. Fossile Energieunternehmen, die wie TotalEnergies oder Shell weiterhin einen Ausbau ihres fossilen Energiegeschäfts planen, müssen ab sofort ausgeschlossen werden.
  4. Die aufgezeigten Verbesserungsansätze für das CSPP-Portfolio müssen auch auf das Rahmenwerk für Kreditsicherheiten angewendet werden.

Quelle Artikel: Greenpeace Deutschland