Russische Gas- und Atomunternehmen könnten Milliarden an der EU-Taxonomie verdienen.

Den vollständigen Bericht finden Sie hier auf Englisch oder hier auf Französisch.

Luxemburg, 17. Mai 2022 – Während die Europäische Union sich auf die Publikation ihres REPowerEU-Projekts (welches Europa energieunabhängiger machen soll) vorbereitet, veröffentlicht Greenpeace Frankreich einen neuen Bericht über die Konsequenzen einer klimafreundlichen Einstufung von Gas und Atomkraft in der Taxonomie, dem Klassifikationssystem nachhaltiger Investitionen in der EU. Es wird dargelegt, wie die russischen Energieriesen Gazprom, Lukoil und Rosatom [1], Druck auf Brüssel ausübten, um die umweltschädlichen Energieträger im Regelwerk für ökologische und nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten aufnehmen zu lassen.

Tatsächlich haben sich seit der Veröffentlichung des Aktionsplans für nachhaltige Finanzen der Europäischen Kommission im März 2018 alle drei Unternehmen mindestens 18 Mal über direkten Weg oder über Tochtergesellschaften und Lobbygruppen mit EU-Kommissar:innen und hohen Beamt:innen getroffen.

Dem Bericht zufolge dürfte Russland zudem einer der Haupbegünstigten in der jetzigen Form der EU-Taxonomie sein. Die Verhandlungsmacht Wladimir Putins im Machtkampf mit der EU würde gestärkt werden und zur Finanzierung des Krieges in der Ukraine beitragen. 

Darüber hinaus könnte der russische Staat durch neue Gasprojekte, die mithilfe der EU-Taxonomie finanziert werden, weitere 4 Milliarden Euro pro Jahr einnehmen, was bis 2030 insgesamt 32 Milliarden Euro entsprechen würde. Bei einem grünen Siegel für Atomkraft würde Rosatom – das enge Geschäftsbeziehungen mit der europäischen Atomindustrie, insbesondere EDF, pflegt – von einem Großteil der potenziellen Investitionen in die Kernenergie profitieren, schätzungsweise von 500 Milliarden Euro. 

Der Krieg in der Ukraine hat die Debatte über die Energieunabhängigkeit der EU von Russland neu entfacht und wirft ein neues Licht auf die dramatischen Folgen, die eine klimafreundliche Einstufung von Erdgas und Atomkraft bedeuten würde. Abgesehen davon, dass der delegierte Rechtsakt der Europäischen Kommission eine Katastrophe für das Klima und die Umwelt bedeuten würde und Gelder, die zur Beschleunigung der Energiewende benötigt werden, verloren wären, würde er de facto Putins geopolitische Macht stärken und die Abhängigkeit der EU von russischer Energie für die kommenden Jahrzehnte erhöhen. Die Verbrechen von Putins Armee in der Ukraine erinnern uns auf grausame Weise daran, wie unser Energiemodell – das Festhalten an fossilen Energieträgern und/oder Atomkraft – aktiv zu Krieg und Menschenrechtsverletzungen beiträgt“, kommentiert Roger Spautz, Atom-Kampaigner bei Greenpeace Frankreich und Luxemburg.

Russland liefert derzeit 45% des Gases und 20% des angereicherten Urans aus Europa. Außerdem bietet es technische Wartungsdienste für 18 Kernkraftwerke russischer Bauart in der EU an und lagert große Mengen an radioaktiven Abfällen aus der EU, darunter auch Abfälle, die insbesondere in Frankreich produziert wurden.

Rosatom hat auch als Mitglied des Vorstands der World Nuclear Association erhebliche Lobbyarbeit für die Taxonomie geleistet, insbesondere als offizieller Sponsor der World Nuclear Exhibition 2021, die im vergangenen Winter in der Nähe von Paris stattfand. 

Bis heute sind die russischen Importe von fossilem Gas, Gasturbinen, Uran und anderen nuklearen Dienstleistungen von den Sanktionen ausgenommen, die die EU als Reaktion auf die Invasion in der Ukraine gegen Russland verhängt hat.

Die nächsten Stichtage sind im Juni, wenn die Ausschüsse ENVI und ECON des Europäischen Parlaments darüber abstimmen, ob Gas und Atomkraft als nachhaltig eingestuft werden sollen, und im Juli, wenn das Plenum abstimmt und eine absolute Mehrheit der Europaabgeordneten den Plan der Kommission ablehnen kann.

Greenpeace Luxemburg fordert die luxemburgischen Mitglieder:innen des Europaparlaments auf, gegen eine klimafreundliche Einstufung von Gas und Atomkraft zu stimmen und die Regierung aufzufordern, sich zusammen mit dem Europäischen Rat weiterhin dagegen auszusprechen. Sollte die EU-Taxonomie in ihrer jetzigen Form angenommen werden, fordert Greenpeace den Luxemburger Staat auf, sein Wort zu halten und gemeinsam mit Österreich sowie weiteren Verbündeten Klage gegen den Rechtsakt einzureichen.


Notizen an die Redakteure:

[1] Unter Verwendung von Daten aus dem EU-Transparenzregister sowie anderen offenen Quellen, dokumentiert der Bericht die Lobbyarbeit der drei Unternehmen, um über Tochtergesellschaften, Joint Ventures und Industrieverbände Einfluss auf die EU-Taxonomie zu nehmen.