Alles ist miteinander verbunden. Diesen Spruch hören wir überall: von Songtexten bis hin zu Werbeslogans. Dabei handelt es sich um eine Idee, die in vielen Kulturen fest verankert ist – ein auf den ersten Blick banaler Satz, genauso wie das oft parodierte Streben nach “Weltfrieden”, verbunden mit dem vielleicht etwas naiven Traum, dass wir uns alle “an den Händen halten”. Das ist eine ebenso verschwommene wie auch herzliche Vorstellung. Aber was, wenn wirklich alles miteinander verbunden ist? Was, wenn dieses Prinzip der Kern dessen ist, was uns in den nächsten fünf Jahren erlauben wird, die Erosion unseres Planeten und all des Lebens, das er beherbergt, aufzuhalten oder gar zu besiegen?

Photo of Maristella Svampa, the Argentine sociologist and writer at Pacto Eco Social del Sur.

Maristella Svampa, argentinische Soziologin und Autorin beim Pacto Eco Social del Sur (“Ökosozialer Pakt des Südens”) © Pacto Eco Social del Sur

Diese Verbindung würde bedeuten, dass die Klima- und Biodiversitätskrise nicht nur mit dem Label “Umwelt” versehen werden darf und dass ein Leben nicht aus sorgfältig alphabetisch geordneten Blöcken besteht, sondern vielmehr aus einem Geflecht von Handlungen und Folgen, die eng miteinander verknüpft und voneinander abhängig sind. Diese Tatsache beschreibt Maristella Svampa, argentinische Soziologin und Autorin für den Pacto Eco Social del Sur, als “[] die Verknüpfung von sozialer und ökologischer Gerechtigkeit […]”.

Auf den ersten Blick ist es nicht ganz einfach zu verstehen, dass wir im Kampf gegen den Klimawandel der Wirtschaft, die im englischsprachigen Raum als “Care” bezeichnet wird (d. h. alles, was mit der Pflege von Menschen zu tun hat), Aufmerksamkeit und Priorität schenken müssen. Die internationale Gemeinschaft der in diesem Sektor tätigen Personen (die zu einem sehr großen Teil aus Frauen besteht) – Pflegekräfte, Hausangestellte und viele weitere – ist besonders in Krisenzeiten stark gefordert. Doch trotz ihrer entscheidenden Rolle wird die Arbeit von Pflegekräften oder Betreuern oft vergessen oder sogar verharmlost. Es ist eine Heuchelei, dass die Gesellschaft abwertet was unser aller Allgemeinwohl sowie unserem Wohlbefinden dient, während andere, auf Profit und Ergebnisse ausgerichtete Wirtschaftszweige aufgewertet werden. Da stellt sich doch die Frage: Was ist wirklich von Bedeutung? Wenn wir von Krisen getroffen werden und das soziale Gefüge zu bröckeln beginnt, sind es Arbeitskräfte in der Pflege (in Pandemiezeiten auch als Kernkraft bezeichnet), die Widerstandsfähigkeit an den Tag legen und uns wieder aufbauen. Was wäre möglich, wenn diese Arbeitskräfte im Mittelpunkt unseres Handelns ständen?

Mara Dolan, Programmmanagerin für die Women’s Environment and Development Organization (WEDO, “Frauenorganisation für Umwelt und Entwicklung”). © WEDO

Für Mara Dolan, Programmleiterin der Women’s Environment and Development Organization, “ist der Aufbau einer ökologischen und gerechten Zukunft eine Frage der wirtschaftlichen Transformation, die Rassen-, Geschlechter-, Wirtschafts- und Klimagerechtigkeit mit Fokus auf Pflegekräfte vorantreiben muss.”

Lidy Nacpil, Koordinatorin der Asian Peoples Movement on Debt and Development (“Bewegung der asiatischen Völker über Schulden und Entwicklung”). © APMDD

Lidy Nacpil, Koordinatorin der Asian Peoples Movement on Debt and Development, meint: ” Im Zentrum des Kampfes gegen die Krisen im Bereich Klima und Biodiversität steht die Transformation des vorherrschenden Wirtschaftssystems, das diese Krisen geschaffen und angeheizt hat. “

Auch zahlreiche Feministinnen aus dem Süden haben den Kapitalismus in Frage gestellt und konkrete Lösungen vorgeschlagen, wie die Einforderung unserer Gemeingüter* und die Aufwertung der Pflege-Ökonomie. Ihre Lösungen gehen über das bloße Aufzeigen von Problemen hinaus und entspringen den Rollen, die sie als Frauen in ihren Gemeinschaften spielen: informelle Hausangestellte, die sich um Kinder und ältere Menschen kümmern, aber auch Arbeitskräfte an vorderster Front.

Dina Kafafy, Sinaweya, Ägypten © Zoe Shields

Dina Kafafy aus Sinaweya in Ägypten ruft zur Umsiedlung und zur Betreuung der regionalen Geschichte und Kulturen auf: ” Wir müssen unsere Selbstwahrnehmung ändern und die Menschheit wieder in den Mittelpunkt des Lebens stellen. Wenn wir traditionelle Völker auf der ganzen Welt beobachten, stellen wir fest, dass sie die lokalen Ressourcen, Klimaregime, Flora und Fauna verstehen; sie achten auf die Umwelt und verehren sie. Von der Erde nur das nehmen, was man wirklich braucht, immer wieder zurückgeben, und neues Leben erstellen. Diese Synchronizität und dieses Bewusstsein sind die Wurzel des Ressourcenreichtums und des Mitgefühls. Die Ökonomie des Gebens und der Sinn des Teilens sind Begriffe, die wieder auftauchen. Wenn dieses Prinzip in die Grundfesten unserer Gesellschaft integriert würde, würde es mehr Liebe, Fairness und Verbundenheit mit der Erde und anderen Menschen hervorbringen. “

All diese Frauen und viele andere, die in unterschiedlicher Form und an unterschiedlichen Orten auftreten, plädieren für einen radikalen Wandel in der Art und Weise, wie Gesellschaften Wert verstehen und wie ihre Rolle in Krisenzeiten anerkannt werden sollte – ob es sich nun um Pandemien, Umweltkatastrophen oder Kriege handelt; wie die Machthaber handeln oder wie wir Wohlstand messen; sie kämpfen für eine gerechte, widerstandsfähige Zukunft, für die Entfaltung aller Lebensformen. ” Wir kämpfen für eine neue Ordnung, in der die Wirtschaftssysteme einem würdigen und emanzipatorischen Leben für alle Vorrang einräumen, die Kapazitäten und die Gesundheit des Planeten respektieren, die soziale Reproduktion als ebenso wichtig wie die Produktion betrachten und die Rolle und den oft unsichtbaren Beitrag der Frauen anerkennen. Über die bloße Dankbarkeit hinaus sollte das, was traditionell als Frauenarbeit angesehen wurde, sozialisiert und umverteilt werden” , so Nacpil. Svampa stimmt zu, wenn sie sagt, dass “dies dazu beitragen wird, prekäre Arbeitsverhältnisse zu bekämpfen und eine gerechtere Verteilung der Care-Arbeit nach Klasse und Geschlecht zu erreichen, da diese Arbeit in der Regel ungleichmäßig innerhalb der Familien und gleichzeitig den Frauen obliegt“.

In ähnlicher Weise plädiert WEDO für den “Übergang von einer extraktiven zu einer reparativen Wirtschaft, die in den Rechten, der Gesundheit und dem Wohlergehen aller Menschen verankert ist – was bedeutet, Care-Arbeit in all ihren Formen aufzuwerten, zu unterstützen und in sie zu investieren“. Zu diesem Zweck, so Dolan, habe die Organisation “ die zentralen wirtschaftlichen Veränderungen hervorgehoben, die in der globalen Finanzarchitektur notwendig sind, um die Ressourcen in Richtung einer Investition in die Care-Ökonomie umzuverteilen. Dies beinhaltet Veränderungen, wie sie im Aktionsplan derNexus-Aktion für eine globale Agenda für feministische Wirtschaftsgerechtigkeit beschrieben sind”.

Dazu gehören ein Ende der Austerität, ein Bekenntnis zu öffentlichen Dienstleistungen und sozialem Schutz, ein gerechteres globales Steuersystem, das nicht länger die Interessen und Profite von Unternehmen auf Kosten von Menschenrechten und Wohlstand schützt, und schließlich der Aufbau eines neuen multilateralen und rechtlichen Rahmens für einen Mechanismus zum Schuldenerlass und zur Schuldenregelung. Dolan fügt hinzu: “ Nachhaltige Arbeitsplätze sind nicht nur Jobs zum renovieren von Gebäuden oder zum Bau von Solar- und Windkraftanlagen – es sind auch Jobs in der Pflege, der Bildung, der häuslichen Pflege, der Kinderbetreuung sowie der Altenpflege und vieles mehr.

Im Süden existieren zahlreiche traditionelle und indigene Lösungen, die bereits den Kapitalismus sowie extraktivistische Modelle in Frage stellen, wie die Wirtschaft der Gemeingüter, Degrowth, die Neudefinition von Wohlstand, die Verbesserung gerechter Einkommen und andere alternative sozioökonomische Modelle. Die Frage ist nun, wie diese Lösungen in eine neue und bessere Normalität umgewandelt werden können.

Sonia Guajajara at the Free Land Camp 2019 in Brazil

Sonia Guajajara au Free Land Camp 2019 au Brésil © Christian Braga / Greenpeace

Letztendlich hätte es die indigene Anführerin Sonia Guajajara von der Articulação dos Povos Indígenas do Brasil (“Artikulation der indigenen Völker Brasiliens“) nicht einfacher machen können. Indigene Völker kämpfen seit langem darum, ihre Häuser vor einer Art von Entwicklung zu schützen, die ihnen aufgezwungen wird: ” Wir fordern das Offensichtliche: dass sie sich um unsere Häuser kümmern – die Bäume, die Wälder und die Gewässer. Unsere Häuser und die unserer Vorfahren. Die der Tiere und unserer Geister. Dort lebt die Unermesslichkeit des Lebens, die diese Erde bewohnbar macht.

Wohlwollen sowie Respekt für jeden Einzelnen und die Natur werden zum Aufblühen unserer Gemeinschaften beitragen und uns die Mittel an die Hand geben, um die Klima- und Biodiversitätskrise sowie Ungleichheiten zu bekämpfen. Es heißt, dass Taten mehr sagen als Worte: Wenn uns die Idee “Alles ist miteinander verbunden” gefällt, warum sollten wir sie dann nicht in die Tat umsetzen? Wir könnten damit beginnen, anzuerkennen, dass die Probleme miteinander verbunden sind und dass folglich auch die Lösungen miteinander verbunden sind.

* Gemeingüter bezeichnen eine breite Palette von natürlichen und kulturellen Ressourcen, die von einer Gemeinschaft geteilt und selbst verwaltet werden und nicht im Besitz von Einzelpersonen sind.